"Europa ist nicht selbstverständlich! Wir müssen die Idee erstreiten und verteidigen"
Die Frage, um welche Dinge "Europa" sich kümmern muß und was vor Ort besser geregelt werden kann, durchzog die Diskussion wie ein roter Faden. "Europa setzt regelmäßig nur Mindeststandards. Planungsvorhaben werden in den Niederlanden pragmatisch im Dialog gelöst. Warum muß in Deutschland immer noch etwas draufgesattelt, zusätzliche bürokratische Vorgaben gemacht werden?" Jens Gieseke wollte die Vorwürfe zur angeblichen Europäischen Regelungswut - im Umweltschutz oder bei der "EU-Datenschutz-Grundverordnung" - nicht unkommentiert im Raum stehen lassen. In der Tat wird durch Richtlinien aus Brüssel, die unter Beteiligung der im Rat vertretenen Regierungen der Mitgliedstaaten und des Europäischen Parlamentes zustande kommen, nur ein Rahmen gesetzt, der durch die Mitgliedstaaten ausgefüllt und oft mit weiteren bürokratischen Vorgaben, Berichtspflichten und genehmigungsvorbehalten angereichert wird. "Viele Regelungen sind Kompromisse, bei denen die Interessen von 28, demnächst 27 Mitgliedstaaten berücksichtig werden müssen", machte Gieseke in Bezug auf die Arbeitsweise deutlich. "Niemand kann alles durchsetzen - dazu sind die einzelnen Prioritäten zu unterschiedlich. Aber gerade über die erfolgreichen gemeinsamen Projekte müssen wir mehr reden!" stellte der Abgeordnete klar.
So freue er sich sehr über die Entscheidung der Niedersächsischen Landesregierung, das gemeinsame Projekt "European Medical School" der Universitäten Groningen und Oldenburg stärker zu fördern und auszubauen. In den Grenzregionen leisteten die Institutionen Ems-Dollart-Region in Bad Neuschanz und die Euregio in Gronau hervorragende Arbeit bei grenzüberschreitenden Projekten und der Vernetzung von Unternehmen, der Erbringung von Informationsangeboten für Arbeitgeber und Arbeitnehmer. "Den sog. Nordseeplan für die Fischerei sehe ich ganz klar als Erfolg an. Wir haben anderthalb Jahre intensiv verhandelt um gute Bedingungen für Fischer an allen Europäischen Küsten zu schaffen und eine Überfischung zu verhindern!" ergänzte Gieseke angesichts der kritischen Töne, daß kleine Familienbetriebe in Ostfriesland durch bürokratische Vorgaben zu stark benachteiligt würden.
An einem Thema mit grenzüberschreitender Bedeutung kamen die Teilnehmer nicht vorbei - dem Wiederaufbau der zerstörten Friesenbrücke. Niemand kkonnte nachvollziehen, daß der Wiederaufbau sechs Jahre dauern soll und von Monat zu Monat neue immer höhere Kostenschätzungen erfolgen. Einhellige Meinung aller Redner war, daß alle Beteiligten sich zusammensetzen und zügig an diesem wichtigen Baustein des Projektes "Wunderlinie" arbeiten sollen. Als positives Beispiel grenzüberschreitender Zusammenarbeit hob Jens Gieseke die Schließung der Lücke in der Bahnverbindung von Groningen nach Eemshaven hervor. Unter finanzieller Beteiligung des Landes Niedersachsen, des Landkreises Leer, der Stadt Borkum und der AG Ems (der Hauptteil der Baukosten wird von den Niederlanden und aus EU-Mitteln finanziert) wurde die bisher in Roodeschool endende Bahnlinie um drei Kilometer erweitert. Profitieren wird dadurch insbesondere die Nordseeinsel Borkum, die jetzt über einen zweiten Bahnanschluß verfügt. Am 20. Juni erfolgt die offizielle Eröffnung durch den Niederländischen König Willem-Alexander. "Solche Infrastrukturmaßnahmen und auch die Feste zu deren Eröffnung bringen die Menschen näher zusammen!" freute sich Gieseke.
Ulf Thiele, der als Stellvertretender Vorsitzender der CDU-Landtagsfraktion auch für Europapolitik zuständig ist, berichtete über einen aktuellen Entschließungsantrag, der zur Zeit im Landtag beraten wird. "Die grenzüberschreitende Zusammenarbeit ist bereits intensiv, in vielen Bereichen müssen aber noch bürokratische Hürden abgebaut werden. Hier bitten wir die Landesregierung um einen entsprechenden Einsatz und zügige Ergebnisse. In einer Anhörung im August werden wir mit Praktikern, die tagtäglich mit grenzüberschreitenden Aktivitäten zu tun haben, sprechen und sie um ihre konkreten Anregungen bitten. Dabei sind wir auch gespannt auf die Anregungen aus den Niederlanden" hob der Abgeordnete aus Remels hervor.
Als Rahmenprogramm hatten die ostfriesischen Christdemokraten vor beginn der offiziellen Teils zu einem geführten Stadtrundgang durch die Leeraner Altstadt eingeladen, in dem der niederländische Einfluß auf die Stadtentwicklung besondere Berücksichtigung fand. An die Diskussion schloß sich ein gemeinsames Grillen im Garten des "Kulturspeichers" an. "Wir haben zu viele Konferenzen, bei denen man nach mehrstündiger Fahrt stundenlang in einem Sitzungsraum tagt, anschließend zügig nach Hause möchte, und wenig von der gastgebenden Stadt sieht. Auch das Rahmenprogramm ist ein Angebot, miteinander ins Gespräch zu kommen" hob Bezirksvorsitzender Reinhard Hegewald hervor.